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Yosemite für Fortgeschrittene

Wenn der Endgegner ein Tag wäre, wäre es der heutige. Heute hatten wir die schlimm-schönste Wanderung, an die ich mich erinnern kann. Aber der Reihe nach:

 

Wir haben gut im Yosemite Inn in Mariposa geschlafen, sind früh wach und gehen um 6 Uhr zum Frühstück. Mit uns nur ein anderes Pärchen und 3 Arbeiter, die wir gestern schon an der Baustelle kurz vor Mariposa gesehen haben. Wir stärken uns mit einem Bagel und packen dann unsere Wandersachen. Geschmierte Brote und Getränke in die Kühlbox, eine Packung "Trail Mix" mit Nüssen und Rosinen, aufgeladene Kamera, Sonnencreme, Sonnenhut und Spikes in die Rucksäcke und dann geht es um 6.30 Uhr los. Wohin? Erst mal zum Pony Express Coffee Shop in der Straße gegenüber. Dort macht uns die Bedienung einen heißen Americano und einen Vanilla Latte und so gestärkt starten wir rund 40 Meilen zum Yosemite Nationalpark.

Als wir starten zeigt das Thermometer im Auto 39 °Fahrenheit, also knapp 4 °C. Als wir im Yosemite ankommen, ist es schon etwas wärmer, aber wir überlegen kurz, welche Wanderkleidung angezeigt ist. Wir haben uns für heute den Upper Yosemite Falls Trail ausgesucht. Wir werden 5 km steil bergauf laufen, da wird uns auf jeden Fall warm. Wir ziehen uns also nicht zu dick an, packen mehrere Liter Getränke ein, denn auf dem Weg gibt es keine Möglichkeit, Wasser nachzufüllen und laufen los. Mit uns nur wenige andere.

Die Wanderkarte zeigt an, dass der erste Teil des Wanderwegs in Switchbacks, also zahlreichen Serpentinen steil bergauf geht. Dann soll es etwas ebener weiter gehen bis der zweite Teil steiler Switchbacks kommt. Und irgendwann soll man dann ganz oben ankommen. Sagt die Wanderkarte.

 

Durch die engen Serpentinen kommen wir zwar nur langsam voran, aber wir gewinnen schnell an Höhe und haben bald einen traumhaften Blick ins Tal. Die Sonne scheint, die Jacke war nur für die ersten 200 m nötig und die wenigen Wanderer verteilen sich auf dem Weg, sodass jeder in seinem Tempo so ziemlich allein unterwegs ist. 

Wir kämpfen uns weiter bergauf. Bis zum Columbia Rock View geht es steil bergauf, aber der Blick ins Tal und auf den Half Dome entschädigt. Ab dem Columbia Rock geht es ein Stückchen wieder bergab. Das tut nach den Serpentinen wirklich gut. Wir müssen auf dem Weg einige Wasserfälle kreuzen und balancieren zunächst sehr vorsichtig über die nassen Steine, teilweise auch durchs Wasser, weil keine größeren Steine verfügbar sind. Nachdem wir aber festgestellt haben, dass die Steine wider Erwarten überhaupt nicht glatt sind, stellen die nassen Treppen und Wege kein Hindernis mehr dar. Ab und zu halten wir die Hände in den Wasserfall und kühlen unseren Nacken. Die Sonne brennt inzwischen und ohne Sonnencreme und Kopfbedeckung geht es nicht.

 

Je weiter wir wandern, desto lauter wird das Rauschen und dann auf einmal, hinter einer Kurve ist er: Der Upper Yosemite Fall. Kurz werden wir von der Gischt nass und im Schatten müssen wir sogar unsere Jacken wieder kurz anziehen, weil es echt kalt wird.

Wir stehen am Fuß des Upper Yosemite Fall. Wir wollen aber zum Top, also ganz nach oben. Ab hier wird es jetzt etwas kniffliger. Teilweise müssen wir auf Händen und Füßen die Felsen hochklettern, teilweise versperren umgestürzte Bäume den Wanderweg, sodass wir neue Wege finden müssen. Aus der Wanderung wird streckenweise eine Klettertour.

Und dann plötzlich haben wir wieder einen umwerfenden Blick auf den Upper Yosemite Fall, den Half Dome und das Tal. Man könnte hier ewig stehen und schauen. Oder besser sitzen.

Je höher wir kommen, desto mehr Schnee bedeckt den Wanderweg. Nachdem wir uns zunächst an einigen Stellen noch ohne Spikes versuchen, aber auch auf die Nase fallen, weil der Schnee oben angeschmolzen und damit sauglatt ist, rüsten wir auf. Ein anderer Wanderer, der sich ohne Spikes durch den glatten Schnee arbeitet, kommentiert es passend: "There's always someone, who is prepared. And there's always someone, who don't." 

 

Mit den Spikes kommen wir besser voran. Allerdings fordern die Höhenmeter, die wir zurückgelegt haben, langsam Tribut. Wir legen viele Pausen ein, trinken bei jeder Pause und ich überlege, ob ich wirklich auf den Berg muss. Gunnar ist - wie immer - mein Motivator und so geht es weiter bergauf. Und so ganz langsam gewinnen wir den Eindruck, dass es bis zum Ziel nicht mehr weit sein kann.

Und dann haben wir es geschafft: nach 4 Stunden Wanderung stehen wir oberhalb der Upper Yosemite Falls, finden einen schneefreien Stein, machen eine Pause und essen die leckersten Brote, die man nach 4 Stunden Wanderung bergauf essen könnte *lach*.

Vor uns sind schon einige wenige Wanderer angekommen und auch nach uns kommen noch Wanderer an. Man hilft sich gegenseitig mit den Bildern und die Stimmung ist gut. Alle machen den Eindruck stolz zu sein, diesen Weg geschafft zu haben. Alle sind begeistert, von dort herunter ins Tal schauen zu können und jeder lässt sich seinen Snack schmecken. 

Und das ist es dann. Wir brechen nach 20 Minuten Pause wieder auf. Wir müssen den Weg auch wieder auf der gleichen Strecke hinunter und auch bergab wird es aufgrund der vielen steilen Kehren, des vielen Schnees und des nun einsetzenden "Gegenverkehrs" anderer Wanderer dauern. Hilft aber nichts. Es gibt keine Alternative zu diesem Weg, also brechen wir auf. Bergab in den glatten Schneefeldern kommen wir nicht ganz unfallfrei durch. Ich rutsche einige Meter unfreiwillig auf dem Hintern den Berg herunter und auch Gunnar macht Bekanntschaft mit dem Schnee. Bis auf ein paar Kratzer bleiben wir aber heil.

 

Wir nähern uns langsam dem Tal und genießen den fantastischen Ausblick auf das Yosemite Valley und den Half Dome.

Nach gut 6,5 Stunden Wanderung kommen wir wieder am Parkplatz an. Jetzt möchten wir nur noch raus aus den Wanderschuhen. Die letzten Serpentinen haben uns beiden keinen Spaß mehr gemacht und es ist eine Wohltat, aus den Wanderschuhen in bequeme Sneaker zu schlüpfen. 

 

Unfassbar, dass wir da oben waren!

992 Höhenmeter haben wir jetzt in den Knochen. Insgesamt ist der Weg nur rund 11 km lang, aber die Anstiege haben es wirklich in sich.

 

So kaputt waren wir lange nicht. Aber auch nicht so glücklich. Eine kurze Pause, dann drehen wir die Klimaanlage auf. Inzwischen sind es 82 °Fahrenheit, also gut 28 °C und somit irgendwie Sommer. Wir fahren nicht direkt aus dem Park, sondern biegen kurz auf den Highway 41 ab. Nächstes Ziel: der (berühmte) Tunnel View. Den erreichen wir nach nur wenigen Minuten und ich muss ganz kurz kämpfen, weil mir vor so viel Schönheit die Tränen in die Augen steigen. 

Links die steile Wand von El Capitan, in der Mitte der Half Dome und rechts der Bridalveil Fall. Dazwischen das Yosemite Valley. Ich bin verliebt in diesen Ausblick. 

 

Damit läuten wir aber den Feierabend ein. Bis nach Mariposa ist es wieder rund eine Stunde Fahrt und durch die Baustelle verlieren wir noch einmal 20 Minuten. Macht aber nix, denn wir sind ja im Urlaub und nicht auf der Flucht. Im Pioneer Supermarket in Mariposa stocken wir unsere Getränkevorräte auf und holen uns ein kleines Abendessen. Der Feierabend ist verdient.