Was für ein interessanter Tag liegt hinter uns! Heute früh fing er etwas unerwartet an. In Hotelzimmern lasse ich nachts gern die Tür zum Bad auf, um im Dunkeln nicht versehentlich in der ungewohnten Umgebung gegen eine Tür zu laufen. Leider habe ich gestern Faktor G (wie Gunnar) nicht berücksichtigt und so pralle ich heute früh gegen die von ihm geschlossene Badezimmertür. Jetzt pocht die Nase, aber ansonsten ist alles heil geblieben. Die Tür, Gunnar und auch der Rest von mir.
Wenn wir schon mal wach sind, können wir uns auch für den Tag fertig machen. Um 5.50 Uhr verlassen wir die Unterkunft, schauen in den dunklen Himmel und entdecken gleichzeitig eine Sternschnuppe. Gut, dann wird der Tag also doch prima.
Wir haben vorgestern und gestern die interessanten Wanderungen im "Paradise-Area" unternommen und fahren heute auf Empfehlung eines Rangers ins "Sunrise-Area", also auf die Ostseite des Mount Rainiers. Da die Verbindungsstraße im Park geschlossen ist, müssen wir außen herum. Unser erstes Ziel heißt Packwood und liegt etwa mittig auf der Strecke. Dort gibt es für uns ein leckeres Heißgetränk, dann nehmen wir die letzten 45 Minuten Fahrt in Angriff.
Der Ranger im Paradise Visitor Center hatte uns zwei Wege von Sunrise ausgehend empfohlen. Zumindest hatte ich es so verstanden. Gunnar hatte verstanden, dass wir beide Wege unbedingt kombinieren sollten. Zunächst geht es also auf dem Sourdough Ridge etwas bergauf, dann biegen wir auf den Mount Fremont Trail bis zum Fremont Lookout ab, dann soll es von dort wieder zurück gehen, weiter auf die Burroughs Mountains mit den Gipfeln First Burroughs und Second Burroughs und dann über einen südlichen Loop zurück zum Parkplatz. Der Ranger sprach in meiner Erinnerung von einer Tagestour.
Insofern trifft es sich gut, dass wir 20 Minuten nach Sonnenaufgang da sind, der Parkplatz noch leer ist und wir für diese Tour alle Zeit der Welt haben. Die Sonne scheint, aber es ist noch lausig kalt. Jacke an, Tuch um und dann ganz schnell warm laufen.
Völlig unerwartet ist die östliche Seite von Mount Rainier ganz anders als der südliche Teil. Die von herbstlichen Blaubeerbüschen und Sträuchern gefärbten roten Täler sucht man hier vergebens. Einige Wiesen und einige Bäume finden wir; je länger wir aber auf dem Sourdough Ridge Trail unterwegs sind, desto karger wird die Landschaft. Fast wie auf dem Mond. Oder eben auf einem Vulkan. Ein kleines bisschen ernüchtert bin ich im ersten Moment, denn gerade diese Knallfarben gestern haben mich total begeistert.
Wir wandern zunächst gemächlich bergauf und erhaschen einen ersten Blick aufs "Wildlife".
Der Cascade Red Fox (Cascade-Rotfuchs) ist eine einheimische Fuchsart Washingtons. Neben der rötlichen Färbung gibt es ihn auch in dunklen Tönen wie hier zu sehen.
So macht das Wandern in der Gegend natürlich Spaß. An einer Wanderwegkreuzung schlagen wir dann den Weg zum Fremont Lookout ein. Es geht tüchtig bergauf, zunächst auf Sandwegen, dann über Geröll. Als wir um den Berg herum wandern, kommt die Überraschung. Der Lookout ist in weiter Ferne zu sehen und ist ein Fire Lookout, also ein Turm an hoher Stelle, um Waldbrände frühzeitig zu entdecken. Na ja, wenn das konkrete Ziel vor Augen liegt, wandert es sich meistens leichter.
Am Hang entdecken wir in der Ferne eine kleine Gruppe Mountain Goats (Schneeziegen). Sie bleiben aber fernab des Trails und stören uns nicht weiter.
Als wir am Turm ankommen, brechen gerade zwei andere Wanderer auf. Wir haben den Turm also für uns, können uns in der Sonne ein bisschen aufwärmen und ein kleines Frühstück zu uns nehmen. Hier könnte man es wirklich länger aushalten. Mount Rainier ist rechts von uns, links stapeln sich die Bergketten der Rocky Mountains kaskadenartig auf.
Als ein anderer Wanderer eintrifft, räumen wir unseren exklusiven Platz wie das Pärchen vor uns und machen uns auf den gleichen Weg zurück. Wir kommen gar nicht weit, da hören wir über uns ein Hufeklappern. 2 Schneeziegen, wahrscheinlich Mama und ihr Nachwuchs, klettern den Hang herunter und schließen zu einer kleinen Gruppe auf. Sie überqueren unseren Trail und flitzen sehr sicher über die losen Steine am Hang. Wieder ein wunderschönes Erlebnis in dieser etwas rauen Gegend.
Gerade an der Schattenseite des Berges frieren wir tüchtig im Wind und bewältigen den Weg daher zügig zurück auf die Sonnenseite des Trails. Gegenüber - wir konnten ihn schon vom Turm aus erahnen - sehen wir den Burrough Mountains Trail.
Als wir den Trail beginnen, sehen wir am Hang mehrere Wanderer und einen Fotografen mit Teleobjektiv stehen. Den hatten wir schon auf dem Parkplatz mit uns starten sehen, er hatte aber einen anderen Weg eingeschlagen. Warum stehen dort Wanderer? Es wird uns schnell klar. Neben dem Trail frisst ein Amerikanischer Schwarzbär für den Winterschlaf. Und er nimmt kaum Notiz von den Wanderer, entfernt sich aber auch nicht weiter weg vom Trail, sodass ober- und unterhalb von ihm mehrere Menschen unsicher abwarten.
Amerikanische Schwarzbären sind übrigens nicht immer nur schwarz. Ihre Fellfarbe reicht von schwarz über braun bis zu honigfarben. Unser Exemplar ist dunkelbraun und sehr interessiert an den Pflanzen in seiner Umgebung. Wir Wanderer fassen uns ein Herz. Bärenbegegnungen bewältigt man am besten laut und in Gruppen. Wir laufen also zu viert ein Stück auf dem Trail, unterhalten uns laut und passieren so den Bären knapp 20 m neben uns. Aufregend und beängstigend zugleich. Die beiden Wanderer, die uns so geholfen haben, trauen sich dann auch allein wieder am Bären vorbei und alles geht gut. Er ist wirklich nicht interessiert an Menschen. Und das ist gut so. Hier in den Parks heißt es "A fed bear is a dead bear!". Ein Bär, der gefüttert wird, muss von den Rangern getötet werden, denn wenn er Menschen mit Futter verbindet und seine Scheu verliert, wird er zu einer tödlichen Gefahr für Wanderer.
Nach dieser Aufregung erklimmen wir mal wieder stetig bergan den First Burroughs und kommen Mount Rainier damit ein Stückchen näher. Hier oben scheint jetzt die Sonne wunderbar warm, dabei weht aber auch ein kühler Wind. Perfekt zum Wandern. Und weil wir so gut drauf sind, erklimmen wir auch noch den Second Burroughs. Dann ist aber Schluss. Der Weg führt noch etwas weiter an den Mount Rainier Richtung Winthrop Glacier und Inter Glacier heran, aber der Abschnitt ist uns zu lang und zu steil. Wir sind schon gute 4 Stunden unterwegs und müssen auch noch zurück.
Auf dem Second Burroughs legen wir eine kurze Pause ein, bekommen es aber mit einem aufdringlichen Golden-mantled Ground Squirrel (Goldmantelziesel) zu tun. Wie Wanderer das so tun, haben auch wir einen Trail-Mix aus Nüssen, Mandeln und Rosinen eingepackt und als Gunnar sich damit stärken möchte, kann er das nicht in Ruhe tun. Das Ziesel hat keine Hemmungen, an Gunnar heraufzuklettern und ihm die Nüsse aus der Hand zu reißen.
Trotz (zugegeben sehr niedlicher) Belästigung durch die Tierwelt der Rocky Mountains genießen wir den Ausblick von oben und die Nähe zum wunderbaren Mount Rainier, bevor wir langsam den Rückweg aufnehmen.
Der Rückweg geht lange bergab (nur fair, denn wir sind ja auch lange bergauf gewandert) und führt uns endlich in etwas grünere Gefilde. Wir haben immer wieder schöne Ausblicke auf Mount Rainier und den im Tal verlaufenden White River. Am Shadow Lake geht es für die letzte halbe Meile wieder bergauf, dann haben wir den Parkplatz und unseren Jeep erreicht. 14 km mit tollen Eindrücken und wir haben angemessen müde Beine.
Wir verabschieden uns vom Mount Rainier Nationalpark. Von Sunrise aus fahren wir wieder bergab bis Packwood. Rund um Packwood wüten Waldbrände, die Sicht ist sehr schlecht und der Rauchgeruch zieht bis ins Auto. Zum Glück haben wir auf unserer Wanderung nichts davon mitbekommen. Weder war die Sicht schlecht, noch war Brandgeruch wahrzunehmen.
In Packwood gibt es ein spätes Mittagessen im Blue Spruce Saloon. Der Laden sieht komisch aus, allerdings stehen vor ihm die meisten Autos, also muss er gut sein. Ist er auch. Einheimische trinken gemeinsam ein Bier, wir bestellen Burger und Salat und sind absolut zufrieden.
Nach dem Essen holen wir uns noch einmal einen Americano und einen Vanilla Latte in der kleinen Kaffeebude, die wir morgens schon aufgesucht haben und genießen später bei einer Pause auf der Straße von Packwood nach Ashford in der Sonne unsere Getränke. Dann lassen wir den heutigen Tag ausklingen. Schön war´s wieder am Mount Rainier. Morgen hat uns die Zivilisation wieder.
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